Das WiWö-Erprobungssystem: Weg zum Versprechen
Es liegt jetzt an dir, jedem Kind die Möglichkeit zu geben, die Gemeinschaft und ihre Regeln kennenzulernen und sich in der Gruppe wohlzufühlen. Das ist dann möglich, wenn das Kind noch nicht gefordert wird etwas zu können (das passiert erst auf dem Weg zum 1. Stern) oder sich zu beweisen. Du und deine WiWö sollt ihm vielmehr die WiWö-Gemeinschaft so vorstellen, dass es sich entscheiden kann, ob es dieser dauerhaft angehören will.
Ich habe mich den anderen WiWö vorgestellt.
Beachte bei diesem Erprobungspunkt, dass sich das „neue“ Kind dem Volk/der Meute vorstellt und nicht nur dir.
Methoden
Ich habe die anderen WiWö und meine Leiter und Leiterinnen besser kennengelernt.
„Besser kennenlernen“ geht schon über die Namen hinaus: Was sind die Eigenschaften, Fähigkeiten, Vorlieben und Abneigungen der einzelnen WiWö?
Methodenideen
- Wie wäre es mit einer Runde Zipp-Zapp, bei der die WiWö nicht die Namen der links und rechts von ihnen Stehenden sagen, sondern ihr Lieblingsessen oder ihr zweitliebstes Hobby (nach den Pfadis, versteht sich)?
- Im Erprobungsheft ist Platz für die Unterschriften der anderen. Auch daraus könntet ihr ein Spiel oder eine länger laufende Aufgabe machen: Erst wenn ich mit einem anderen Kind gespielt oder etwas anderes gemeinsam gemacht habe, bekomme ich die Unterschrift.
- Talentelotterie: Die WiWö schreiben ein Talent von sich auf einen Zettel, diese kommen in die Mitte. Jedes WiWö darf einmal ziehen und raten, wer von ihnen dieses besondere Talent hat.
Übrigens:
Wenn die Neulinge einige Zeit in den Heimstunden dabei sind, fällt ihnen sicherlich auf, dass manche WiWö Halstücher tragen oder sogar die gleichen T-Shirts oder Kappen haben. Das ist die sogenannte Uniform. Die Uniform eines WiWö besteht aus
- dem Kapperl, auf dem dann die Sterne befestigt werden
- dem Halstuch
- dem WiWö-T-Shirt oder einem Polo-Shirt
In manchen Gruppen ist auch eine WiWö-Tasche üblich. Das kann in einer WiWö-Tasche sein:
- die Kinderbücher der WiWö (Weg zum Versprechen, 1. oder 2. Stern)
- die Scout Card
- ein paar Stifte und ein kleiner Block
- ein Nähzeug mit Sicherheitsnadel
- eine kleine Schere
- einige Pflaster
- ein Packerl Taschentücher
- Klebstoff oder Klebeband
- ein paar Gummiringerl
- eine Knotenschnur
- und alles, was euch in eurer Gruppe sonst noch wichtig ist (und in eine Tasche passt)
Ich grüße die anderen WiWö und meine Leiterinnen und Leiter mit unserem Gruß.
Zur rechten Hand Die beiden ausgestreckten Finger sollen einerseits daran erinnern, dass die WiWö zwei Gesetzespunkte haben und andererseits, dass Eulen und Wölfe die Ohren spitzen, um besser zu hören (z.B. wo Hilfe notwendig ist). Dazu gibt es in BiPis „Das Wölflings-Handbuch“ folgende Worte: „... Warum die zwei Finger in der Höhe sind? Nun, ihr wisst ja, wie der Wolfskopf mit den zwei aufgestellten Ohren aussieht? Er wird doch als Wölflingsabzeichen benützt. Eure zwei Finger sind also beim Gruß die zwei Wolfsohren.“ Das wurde für die Wichtel als Eulenohren adaptiert.
Der Daumen über dem Ringfinger und dem kleinen Finger ist zwar in keinem Buch von BiPi erwähnt, wird aber durch Überlieferungen so erklärt, dass der Stärkere (=Daumen) die Schwächeren (be)schützt.
Zur linken Hand Pfadfinder*innen geben einander die linke Hand. In früherer Zeit durften nur freie Männer (Ritter, Edelleute...) Waffen tragen. Bei Begegnungen mit anderen waffenlosen Männern, Frauen und Kindern zeigten sie ihre rechte Hand zum Zeichen, dass sie keine Waffen hielten und gaben einander daher die linke Hand. In „Das Wölflings-Handbuch“ wird die linke Hand für Wölflinge nicht erwähnt, erst im Buch „Wie man Pfadfinder wird“ ist darüber nachzulesen. Diejenigen, denen man die linke Hand zum Gruß reicht, sind als (Pfadfinder*innen-)Geschwister zu behandeln. Die linke Hand kommt außerdem von Herzen.
Was sagen die WiWö eigentlich, wenn sie sich begrüßen? Das ist von Gruppe zu Gruppe unterschiedlich: manche verwenden den Wahlspruch „So gut ich kann”, andere antworten darauf mit „Freudig helfen”, wieder andere sagen „Allzeit bereit” oder „Gut Pfad”.
Methoden
Ich kenne einige Rituale unserer Gemeinschaft.
Im Versprechensheft erklären Puck und Mogli, dass ein Ritual etwas ist, das immer gleich abläuft. Es gibt bestimmt auch eigene Rituale in deiner Gruppe. Erkläre den WiWö, warum ihr manche Dinge auf eine ganz bestimmte Art macht und finde mit ihnen neue Rituale, z.B. Heimabendbeginn oder Heimabendabschluss.
Rituale am Anfang und Ende der Heimstunde können den WiWö-Gruß beinhalten und so auch dem vorigen Erprobungspunkt zuarbeiten. Denke bitte auch daran, dass der Punkt „einige Rituale“ nennt und nicht alle – im Laufe eines ganzen Pfadfinder*innenjahres werden deine WiWö sicherlich mit den meisten Gruppenritualen vertraut sein.
Informationen zu verschiedenen Traditionen, Zeremonien und Ritualen sowie zum regelmäßig stattfindenden WiWö-Forum als Ritual zu Partizipation findest du in eigenen Kapiteln.
Ich verstehe unsere Regeln und versuche mich daran zu halten.
Folgender Ablauf hat sich für die Erarbeitung von Regeln bewährt:
Denkt im Leitungsteam gemeinsam darüber nach, was auch an Regeln wichtig ist. Euch als Erwachsenen sind vielleicht andere Dinge wichtiger als den WiWö, weil ihr ja auch die Sicherheit der WiWö im Blick habt, zum Beispiel was den Umgang mit Scheren und Klebstoff betrifft.
In der nächsten Heimstunde erarbeitet ihr dann gemeinsam mit den WiWö die Heimstundenregeln. Versucht dabei, keine lange Liste an „wir dürfen nicht“ zu erstellen, sondern wenige, kurze und positiv formulierte Regeln zu finden, die den gemeinsamen Umgang im Blick haben:
„Wir hören einander zu“ anstatt „nicht tratschen“, „wir passen aufeinander auf“ anstatt „wir hauen nicht, wir beißen nicht, wir zwicken nicht“. Dazu gibt es auch die Geschichte „Königin Silva hat ein Gesetz vergessen“ in „Puck sucht ihren Namen“: Sie thematisiert, wie viele kleine Gesetze schwieriger zu verstehen sind als wenige klare.
Ein WiWö-Forum kann dafür den passenden Rahmen bieten. Die gemeinsam erstellten Regeln hängt ihr dann auf einem großen Plakat im Heim sichtbar auf, damit sie alle jederzeit sehen können.
Als Leiter*in sorgst du für die Einhaltung der Regeln und hältst dich natürlich auch selbst daran.
Regeln, die du nicht gebrauchst, sind sinnlos.
Methodenidee Spielregeln verändern
Variante Dschungelbuch: Die Banderlogkinder haben ein Lieblingsspiel, das „Die fliegenden Banderlogs“ heißt. Alle bilden einen Kreis und schließen die Augen. Ein Kind geht außen um den Kreis herum und klopft einem anderen Kind auf die Schulter. Beide laufen nun in entgegengesetzter Richtung um den Kreis und versuchen, in die Lücke zu kommen. Das langsamere Kind sucht sich wieder jemanden usw. Nach einiger Zeit werden nach und nach Regeln weggelassen:
- die Augen können geöffnet werden
- die Kinder dürfen sich, wenn sie wollen, nach außen drehen
- sie dürfen sich gegenseitig zurückhalten
- sie können hinlaufen, wo sie wollen
Natürlich können diese Spiele nicht funktionieren. Sie enden im Durcheinander und es macht keinen Spaß mehr. Die Kinder werden nun aufgefordert, herauszufinden, warum das so ist. Sie kommen sehr schnell darauf, dass Gesetze nichts anderes als Regeln zum Zusammenleben sind und wissen nun, wozu Regeln notwendig sind. Passende Fragen für die Aufarbeitung sind zum Beispiel: Warum ist das Spiel chaotisch geworden? Funktioniert ein Spiel, wenn alle nur das machen was sie wollen? Wer sollte bei uns auf die Einhaltung von Spielregeln achten? Welche Spielregeln fallen euch schwer?
Variante Waldenland: Im Waldenland leben verschiedene Wichtelvölker nach unterschiedlichen Regeln. Die Kinder werden nun in mindestens drei Gruppen (=Wichtelvölker) geteilt und jede Gruppe erhält zum „Begrüßungsspiel“ (siehe oben) verschiedene Spielregeln. Das Spiel wird zuerst in den drei Kleingruppen und dann gemeinsam gespielt, was natürlich zu Chaos führt.
Aufarbeitung: Titona erzählt, wieso die Völker Waldenlands ein Gesetz haben, das so schwierig zu erlernen und so leicht einzuhalten ist, wenn man es einmal begriffen hat. Im Buch „Puck sucht ihren Namen“ findest du diese Geschichte im Kapitel „Titona erzählt eine wahre Geschichte“. Du kannst nun auf einige (den Kindern vielleicht schon bekannte?) Gesetze im Dschungel, im Waldenland und bei den Menschen hinweisen, bei denen derselbe Gedanke zugrunde liegt, z.B.
- Der Wasserfrieden im Dschungelbuch: Wenn bei Trockenheit der rote Felsen im Fluss zum Vorschein kommt, darf kein Tier ein anderes angreifen, solange dieses trinkt.
- Die Wichtelnacht im Waldenland: Vom Tag vor bis zum Tag nach der Wichtelnacht darf kein Tier und kein Wichtel einem anderen ein Leid zufügen.
- Die olympischen Spiele der Antike: Während der olympischen Spiele in Griechenland mussten alle Kriegshandlungen unterbrochen werden.
Ich finde mich in unserem Heim und in der näheren Umgebung zurecht.
Damit sich die WiWö im Pfadfinder*innenheim wohlfühlen, ist es wichtig, es gut kennenzulernen.
Methodenideen
- Eine Schnitzeljagd oder ein Geländespiel könnten hier gut passen. Falls es vor dem Heim eine gefährliche Kreuzung oder sonstige Punkte gibt, auf die du die Kinder aufmerksam machen möchtest, kannst du diese hier einbauen.
- Du kannst den WiWö auch Fotos von wichtigen Punkten oder Gegenständen ausdrucken. Sie sollen die Orte finden, an denen sich diese Dinge befinden. Die älteren WiWö könnten als „Fremdenführer und Fremdenführerinnen“ neue Kinder herumführen und ihnen WC, Lichtschalter oder Mistkübel zeigen.
- „Ring-Rudel-Bring mir“-Rallye: Auf los geht’s los – bringt mir ein Klopapier, den Besen aus der Putzkammer, die Buntstifte zum Zeichnen, die vergessene Regenjacke aus der Garderobe…
- Lageplan: Die Kinder bekommen einen Plan des Heims und seiner Umgebung. Dort sind speziell gekennzeichnete Dinge versteckt, die WiWö sollen sie finden und in den Plan einzeichnen.
Ich weiß, was das Besondere an den Pfadfinderinnen und Pfadfindern ist.
Darauf kann sich eigentlich nur jede*r selbst eine Antwort bilden: Uns gibt es weltweit und schon sehr lange. Wir haben ein Halstuch. Unser Ursprung liegt in der guten Idee zweier Leute namens Robert und Olave Baden-Powell. Wir versprechen, dass wir nach dieser Idee leben wollen. Bei uns können alle Mitglied werden. Was fällt dir noch ein?
Methodenidee
Nimm Bilder von verschiedenen Pfadiaktionen mit und leg sie in die Mitte, lass die WiWö erzählen, was sie schon Besonderes bei den Pfadfinder*innen erlebt haben und was es für sie besonders macht – etwa wenn sie beim Lagerfeuer sitzen oder Abenteuer erleben. Anschließend können sie das Erlebnis malen, eine Szene dazu spielen, in ihr WiWö-Buch zeichnen oder anders kreativ gestalten.
Ich verstehe unseren Wahlspruch und versuche danach zu handeln.
Der Wahlspruch der WiWö ist „So gut ich kann“. BiPi hatte den Pfadfinder*innenwahlspruch „Allzeit bereit“ als zu schwierig für Wölflinge empfunden und wollte sie damit nicht überfordern.
Der Wahlspruch ist also eine selbst gewählte Verpflichtung, ständig an sich zu arbeiten, sich zu bemühen und über sich hinaus zu wachsen.
Methodenidee: „So gut ich kann”-Anhänger
Damit du und deine WiWö nie darauf vergessen, bastelt doch einen kleinen Halstuchanhänger, ein „So gut ich kann“. Stelle dazu deinen WiWö verschiedene Materialien zur Verfügung (Perlen, Federn, Moosgummi, Kristalle, Klupperl etc.). Jedes „So gut ich kann“ soll so einzigartig werden wie die individuelle Herausforderung, die damit verbunden ist.
Methodenidee: „So gut ich kann”-Stationenlauf
Ein „So gut ich kann”-Stationenlauf mit verschiedenen kreativen Stationen, bei denen die WiWö erleben, dass jedes WiWö etwas anderes gut kann, ist eine weitere Möglichkeit zur Umsetzung.
„So gut ich kann” im Dschungelbuch Es gibt zum Wahlspruch eigentlich keine passende Geschichte im Dschungelbuch. „So gut ich kann“ ist aber sicher ein Zauberspruch, der Mut macht wenn es darum geht Dinge anzupacken. Somit kann er in jede x-beliebige Dschungelgeschichte eingebaut werden, zum Beispiel kann er Mogli vor jeder Herausforderung in den Mund gelegt werden.
„So gut ich kann” im Waldenland Die Einstiegsgeschichte zu diesem Punkt findest du gleich anschließend. Eine Bemerkung dazu: Sind die Kinder „Waldenlandexpert*innen“, kannst du dir einige Punkte sparen. Ist die Zuhörerschaft gemischt, können diese Informationen von den „Insidern“ kommen. Nach der Geschichte wird mit den Kindern über deren Inhalt geredet. Wenn das nicht sofort passiert, sondern erst in der nächsten Heimstunde, muss das Wichtigste wieder in Erinnerung gerufen werden. Ziel des Gespräches ist es, das Verhalten der Wichtel Claudio, Marga und Tom gemeinsam zu überdenken. Die Kinder finden sicherlich (eventuell mit deiner Hilfe und gezielten Fragen) ganz schnell einen Bezug zu ihrem eigenen Leben. Was heißt das „so gut ich kann“? Nun werden diese Bezüge gezeichnet oder gemalt - natürlich eignen sich auch Collagen, Tonarbeiten oder kleine dramatische Szenen. Die folgende Geschichte stammt nicht aus „Puck sucht ihren Namen“, sondern vom WiWö-Bundesarbeitskreis. Wir möchten dich damit ermutigen, dir eigene Geschichten einfallen zu lassen, wenn du sie für die Arbeit mit deinen WiWö brauchst.
Geschichte „So gut ich kann”
„Abgemacht, beim ersten Möwenschrei treffen wir uns vor dem Eingang in die Steinbeißerhöhle. Weiß jedes Wichtel, was es mitbringen muss?“ Tetu aus dem Volk der Erdbilben schaut sehr wichtig und ernst in die Runde der jungen Wichtel.
Es ist Winter und die Wichtelvölker sind in ihrem Winterquartier. Die Kinder besuchen dort die Schule um zu lernen. Vor allem wollen sie während der übrigen Zeit andere Dinge entdecken als Schreiben, Lesen, Mathe, Geschichte und was es sonst noch in der Schule zu lernen gibt. Was die Wichtel während den anderen Jahreszeiten tun, ist ganz unterschiedlich. Wichtel leben in verschiedenen Ländern mit verschiedenen Wohnungen und Bräuchen. Im Waldenland gibt es natürlich auch Bücher. Viele Wichtel lieben es irgendwo zu liegen und spannende Bücher zu lesen. Im Winter allerdings macht das Lesen nicht so viel Spaß, denn da müssen die Wichtel lesen. Im Sommer dürfen sie. Wie du siehst, Wichtelkinder unterscheiden sich nicht großartig von Menschenkindern.
Zurück zu Tetu und den jungen Wichteln. Sie wollen einen Plan, den sie schon vor langer Zeit besprochen haben, in die Tat umsetzen: Die Erforschung der Steinbeißerhöhle. Sie, das sind Claudio und Britta aus dem Volk der Tillen, Cynthia, ein Legolitwichtel, Gerd und Tom, zwei Seebilben, Marga von den Farnbilben, Doris von den Baumbilben und Tetu, ein Erdbilbenwichtel.
„Wisst ihr was ihr alles mitbringen müsst?”, fragte Tetu erneut. Die anderen Wichtel nicken ungeduldig und glauben, dass Tetu ganz schön angibt. Die Antwort kommt auch dementsprechend patzig: „Für Proviant, Fackeln und richtige Kleidung ist jedes Wichtel selbst zuständig“, sagen alle im Chor. Claudio und Britta sagen: „Wir bringen den Löwenzahngarn.“ Gerd und Tom fügen hinzu: „Und wir die Schilfwolle!“ Marga und Doris rufen: „Die Schreibkohle liegt schon bereit.“ Cynthia sagt abschließend: „Ich bringe das Papier.“ Tetu nickt zufrieden.
Mit diesen wichtigen Gegenständen ausgerüstet beginnt am nächsten Morgen der Einstieg in die Höhle. Die Wichtel haben sich bereits überlegt, wie sie aus der unbekannten Höhle wieder herausfinden. Zuerst befestigt Tetu das Garn an einer Felszacke vor dem Eingang. Während ihrer Erkundung rollen sie immer mehr davon ab. Sobald sie wieder aus der Höhle hinaus wollen, werden sie dem Garn ans Tageslicht folgen.
Claudio wollte ursprünglich gar nicht mitgehen. Er hatte Angst, dass seine Ausdauer nicht so gut ist wie die der anderen. Er befürchtete, dass er plötzlich alleine dastehen würde oder alle ständig auf ihn warten müssten. Claudio hat für sich beschlossen, nicht mehr ständig zu Apa zu gehen und sie um Honig zu bitten. Anstelle von Mäusen benutzt er lieber seine eigenen Beine als Fortbewegungsmittel. Wahrscheinlich könnte er sich dann seine Ängste sparen. Britta hat ihm erklärt, er sollte sich bemühen mitzuhalten, so gut er eben kann. Zuhause zu bleiben und nichts zu tun wäre nicht der richtige Weg, um etwas zu schaffen, schon gar nicht bessere Kondition. Claudio ließ sich überzeugen.
Marga hat auch Angst, darüber hat sie aber mit niemandem gesprochen. Sie versteht gar nicht, warum ihr allein der Gedanke, eine unbekannte Höhle zu erforschen, den Schweiß auf die Stirn treibt. Wenn sie das schon nicht versteht, wie sollte es dann jemand anders verstehen? Sie schweigt, als das Abenteuer beginnen soll, und ihre Knie werden weich. Im Gänsemarsch gehen die Wichtel durch den schmalen, dunklen Gang. Manchmal fällt ein Wassertropfen auf den Boden. Das ist für die kleinen Wesen gar nicht ungefährlich. So viele Wassertropfen gibt es im Winter nicht, zumindest nur ziemlich kleine. Jedes Wichtel hat trockene Wechselkleidung im Rucksack. Claudio bemüht sich, so gut er kann, mitzuhalten. Marga hält sich an der Hand Cynthias fest. Als der Gang schmal und steil wird und die Wichtel zuerst kriechen, dann klettern müssen, kehren sie um: Klettern mit Fackeln in der Hand ist kaum möglich. So gehen sie einen anderen Weg. Es sind ja genügend vorhanden, denn alle paar Meter gibt es Kreuzungen. Dieses Spiel spielen sie viele Male.
Plötzlich stehen unsere Wichtel in einer riesigen Höhle. Am Boden und auf der Decke glitzern winzige Eiskristalle. Durch das Licht der Fackeln leuchten sie in den Farben des Regenbogens. Die Wichtel bestaunen dieses Wunder und es dauert einige Zeit, bis sie die Höhle erforscht haben. Sie sind hungrig, durstig und gleichzeitig aufgeregt. Sie beschließen hier zu rasten.
Frisch gestärkt und ausgeruht beginnen sie mit dem Rückweg. Fröhlich halten sie sich an die ausgelegten Fäden und kommen schnell und sicher weiter. Es müssen ja keine Wege, die am Ende gar nicht passierbar sind, gesucht werden.
Doch, was ist das? „Das Garn hört hier auf!“, schreit Tom. Seine Stimme ist schrill vor Entsetzen. „Es ist durchgebissen und ein Teil ist weg“, stöhnt Tetu. „Aber das sind ja Steinbeißer - und nicht Garnbeißerhöhlen?“, murmelt Britta und alle lachen nervös. „Jetzt ist alles vorbei“, flüstert Gerd und beginnt zu zittern. Was tun? Die Wichtel wissen weder wo sie sind, noch wie lange sie schon unterwegs sind. In einer Höhle wie dieser den Weg zurückzufinden ist fast unmöglich. Alle wissen das und niemand wagt es auszusprechen. „Wir müssen weitergehen“, sagt Tetu mit fester Stimme, und ist froh, dass ihre Stimme nicht so zittert wie ihre Knie. „Nur - wohin?“, denkt sie für sich. „Wir haben Papier und Kohlestifte. Damit können wir Botschaften schreiben und diese alle paar Meter auf den Boden legen, damit wir gefunden werden“, schlägt Marga vor. Doris fällt ein, dass sie mit Hilfe der Kohlestifte Kreuzungen markieren könnten, um zu wissen welche Wege sie schon zurückgelegt haben. „Genau! Das machen wir! Sehr gute Idee!“, rufen die Wichtel und fühlen sich schon ein wenig besser.
Gesagt, getan. Weil die Wichtel nicht wissen, wie lange sie sich in dem finsteren Höhlenlabyrinth aufhalten müssen, nehmen sie nur zwei Fackeln. Sie gehen sehr langsam, um nicht zu früh zu müde zu werden. Und nun geschieht etwas ganz Eigenartiges: Claudio ist plötzlich gar nicht mehr müde, er hat das Gefühl, die beste Ausdauer der Welt zu haben. Er spürt weder seine schmerzenden Beine noch sein klopfendes Herz. Bei jeder Kreuzung wird nun jener Weg markiert, den die Wichtel wählen. „Ein Stück Garn, ich habe ein Stück Garn gefunden“, ruft Tetu, die die Gruppe anführt, aufgeregt. Die Wichtel atmen auf, Garn bedeutet richtiger Weg. Bald aber muss Tetu feststellen, dass es kein Garn mehr gibt, keine Faser davon. Sie verliert aber kein Wort darüber und geht einfach weiter. Die Wichtel, die selbst ja keine Fackeln angezündet haben, gehen ihr nach. Nur Cynthia, die das Schlusslicht macht, hat das fehlende Garn ebenfalls bemerkt. Sehr lange gehen sie dahin - durch schmale Gänge und breitere, manchmal bergauf, manchmal bergab und stehen plötzlich vor einer Kreuzung mit Kohlezeichen. „Da ist ein Kreuz!“, schreit Gerd, „die Wichtel sind schon unterwegs, um uns zu suchen.“ „Das Kreuz haben wir selbst gemacht“, flüstert Tetu, „es gibt schon lange kein Garn mehr.“ Und einige Minuten ist es sehr still. „Wir sind im Kreis gegangen!“, „Aber wo?“, „Wie lange schon?“, tönt es dann wirr durcheinander. Die Wichtel haben längst schon jedes Zeitgefühl verloren.
Sie spüren weder Kälte noch Hunger oder Durst, nur Müdigkeit und Angst. Und da tickt Gerd aus. „Du hast uns belogen! Du bist schuld, dass wir hier nicht mehr heraus können!“, brüllt er Tetu an. „Wahrscheinlich hast du den Faden selbst abgebissen. Nein, du hast ihn einfach nicht gelegt“, wirft er Tom vor. „Du hättest wissen müssen, dass in der Höhle Garnfresser leben!“, schreit er Cynthia an. Dann beginnt er zu weinen, schlägt um sich und stöhnt: „Am Ende sind es gar keine normalen Garnfresser! Es sind bestimmt Geister, die uns verfolgen, weil wir in ihre Höhlen eingedrungen sind. Wenn ihr mir das gesagt hättet, wäre ich sicher nicht mitgegangen! Ihr seid alle Schuld, dass wir nie wieder hier herausfinden werden!“
Erschrocken stehen die Wichtel da und wissen nicht, was sie Gerd antworten sollen. Was können sie tun um ihn zu beruhigen? Marga macht eine erstaunliche Entdeckung: Sie selbst hat immer noch Angst. Aber diese Angst ist anders, ohne zitternde Knie und Schweiß auf der Stirn. Diese Angst fordert sie auf darüber nachzudenken, einen Ausweg zu finden! Aber sie spürt die Angst von Gerd. „Ich bin mir sicher, dass wir hier wieder herausfinden“, sagt nun Marga, „nehmen wir doch diesen Weg, den wir noch nicht gegangen sind - da gibt es kein Kreuz.“ Sie streichelt beruhigend Gerds Hand. Gerd weint jetzt nur mehr und lässt sich von Marga beruhigen. Die Wichtel sind ganz still und warten, was Tetu zu Margas Vorschlag sagt. Doch Cynthia ist es, die jetzt spricht. Was sie sagt, lässt alle Wichtel aufatmen: „Wir werden sicherlich gerettet. Ein Suchtrupp ist bereits unterwegs. Ich habe mich mit meiner Mutter in Verbindung gesetzt und jetzt weiß ich, dass es geklappt hat.“ Kein Wichtel hatte daran gedacht: Legolitwichtel können bei großer Gefahr Gedanken übertragen - und Cynthia ist ein Legolitwichtel. „Also, dann gehen wir. Ich finde Margas Vorschlag gut. Dieser Weg kann gar nicht falsch sein und wir gehen dem Suchtrupp entgegen.“ Die Wichtel brechen wieder auf.
„Pst“, sagt Marga plötzlich, „merkt ihr etwas?“ „Die Fackel“, schreit Doris, „die Fackel flackert, es muss hier irgendwo einen Luftzug geben!“ Und tatsächlich, der Weg, den Marga vorgeschlagen hat, ist ein Weg in die Freiheit. Die Wichtel stehen plötzlich im Freien und freuen sich über das glitzernde Schneefeld und den klaren Sternenhimmel. Sie haben zwar keine Ahnung, wo sie sind, aber hier hilft wieder Cynthia. Sie konzentriert sich auf ihre Mutter, die den Suchtrupp leitet und führt sie an die richtige Stelle. Alle sind sehr glücklich. Bis auf Gerd. Er schämt sich wegen seines Ausbruchs.
Einige Zeit später sitzen die Höhlenforscherinnen und Höhlenforscher bei Titona und reden über ihr Abenteuer in der Höhle. Titona findet, dass die Wichtel ganz schön klug und überlegt gehandelt haben und sagt es ihnen auch. Sie sieht zu Gerd und sagt: „Wenn du das nächste Mal ganz furchtbare Angst hast, kannst du sicherlich schon besser damit umgehen. Wisst ihr, manchmal gelingen Dinge besser, manchmal schlechter. Das nennt sich Üben. Kein Wichtel braucht sich zu schämen, wenn es manchmal etwas ganz schlecht oder gar nicht kann. Vor allem dann nicht, wenn es sich immer wieder bemüht.“